„Der Handel in Deutschland hat es sich in den letzten Jahren zu einfach gemacht" - Im Gespräch mit Dr. Hans Peter Döhmen

Katharina Sartisson

Wie sieht die Zukunft für den deutschen Handel aus und wie kann er dem Veränderungsdruck standhalten? Dr. Hans Peter Döhmen (döhmen consulting) erklärt, warum Digitalisierung alleine nicht ausreicht.

Seit 2003 bietet die döhmen consulting gmbh Beratungsdienstleistungen im Umfeld krisenbedrohter Unternehmen an und begleitet Kunden aus dem Mittelstand in schwierigen Phasen. Das Leistungsportfolio erstreckt sich von der Entwicklung von Sanierungskonzepten über maßgeschneiderte Services für Insolvenzverwalter (inklusive distressed M&A) bis hin zur Stellung eines Sanierungsgeschäftsführers.

Sie haben in den vergangenen Jahren einen ansehnlichen Track-Record in der Handelsbranche aufgebaut, unter anderem als CRO bei Filialketten wie Polo oder Strauss Innovation. Was reizt Sie am Handel?

Der Facettenreichtum! Ich habe früh erfahren, wie spannend Handelsunternehmen sind, egal ob es um Fashion oder Food geht. Von der Sortimentsgestaltung über Visual Merchandising bis hin zur Beantwortung wirtschaftlicher Fragen: Es gibt unzählige fesselnde Themen, die miteinander verbunden werden können. Hier trifft rationales, betriebswirtschaftliches Denken auf Emotionen und persönliche Nuancen. Das reizt mich besonders daran und macht mir immer wieder wahnsinnig viel Spaß. Mittlerweile habe ich das Glück, einen großen Erfahrungsschatz gesammelt zu haben, sodass ich meinen Mandanten mit Rat und Tat zur Seite stehen kann.

Auch unabhängig von Corona ist der Handel starkem Veränderungsdruck ausgesetzt: Local Sourcing, Nachhaltigkeit, Analytics, Omni-Channel sind nur einige Beispiele. Gibt es Trends, die Sie besonders faszinieren?

Viele würden hier die voranschreitende Digitalisierung nennen, dass Online Shops sich weiterentwickeln und der Versand in Verbindung mit dem Online-Bereich immer besser und immer kreativer wird. Das ist sicher ein wesentlicher Aspekt, aber wir müssen zeitlich noch früher ansetzen, das ist mir ein wichtiges Thema: Der Handel in Deutschland hat es sich in den letzten Jahren zu einfach gemacht und den Online-Vertrieb als “den bösen Buben” identifiziert. Ich glaube, das ist schlicht falsch. Der Handel hat in den letzten Jahren, meiner Meinung nach, nicht verstanden, worauf es dem Konsumenten ankommt. Die Kunden suchen nach einem Shopping-Erlebnis, das Emotionen in ihnen weckt und ihnen Spaß macht. Dann sind sie auch bereit, Geld auszugeben und der Bondurchschnitt in einem Shop steigt wesentlich an. Dass man das versäumt hat, wird besonders deutlich, wenn man sich die großen Handelshäuser und Filialketten anschaut.

Woran machen Sie das konkret fest?

Der Handel hat in der Vergangenheit sehr stark auf die Personalkosten geachtet und immer stärker Personal abgebaut. Es wurde nicht mehr in Läden und Systeme investiert. Flächenwachstum war die einzige Fluchtrichtung, die man angetreten ist, flankiert von Rabattschlachten. Welches Label hat denn in Deutschland in den letzten Jahren eine Innovation hervorgebracht? Da fällt einem wenig ein. Die Innovationen sind vor 20-30 Jahren gemacht worden – häufig von den Namensgebern berühmter Labels. Danach hat sich nichts mehr getan, weder im Bereich Materialien, noch Design, noch beim Shopping-Erlebnis. Der Fokus auf Flächen und Wachstum hat dafür gesorgt, dass die Kreativität in den Hintergrund gerückt ist. Das ist der falsche Ansatz. Da reicht es nur, ins benachbarte Holland oder nach Südeuropa, etwa Italien oder Spanien, zu schauen. Wenn der Konsument dort die geschmackvoll eingerichteten und bestückten Läden betritt, erlebt er ein Flair und eine gewisse Stimmung. Er trifft auf gut gelaunte Verkäufer/innen, bekommt einen Espresso angeboten und es läuft die richtige Musik im Hintergrund. Man kommt im Grunde gar nicht drumherum, etwas zu kaufen. Das ist in Deutschland leider nicht der Fall.

Was muss der deutsche Handel tun, um die Entwicklung wieder in die richtigen Bahnen zu lenken?

Wenn der deutsche Handel überleben möchte, muss es ein Miteinander geben. Online-Handel allein funktioniert nicht und der stationäre Handel hat isoliert auch keine Chance. Am Ende zählt, dass der Kunde weiterhin seinen Umsatz macht. Ob dies in der Filiale geschieht, am Laptop oder unterwegs übers Smartphone, ist dabei nicht entscheidend. Die Möglichkeiten sollten ihm dabei vollkommen freigestellt sein. Hierzu gesellt sich ein weiterer Aspekt: Ein besseres Miteinander muss es auch zwischen den Händlern, der Stadtentwicklung und der Wirtschaftsförderung in den Städten geben. Denn vielerorts muss am gesamten Stadtbild dringend gearbeitet werden. Dabei sollte es, ähnlich wie bei einem Unternehmen, eine Vision und entsprechende Strategie geben. Die Frage ist – einfach ausgedrückt: Wie sollen unsere Innenstädte in 15 Jahren aussehen? Dazu braucht man einen gesunden Mix aus Handel, Gastronomie, Events und Kultur. Dafür müssen die Städte viel enger mit der Wirtschaft zusammenarbeiten und umgekehrt.

Wie könnte eine Zeit nach Corona aussehen?

Gerade nach Corona, wird es mit den Flächen-Bedürfnissen in den Städten noch schwieriger werden: Ich denke, dass die großen Filialisten durch die Bank ihre Flächen verkleinern werden, was auch der richtige Weg ist. Doch was geschieht dann mit den freien Flächen? Städte sind in den nächsten Jahren sehr gefordert, diese Frage zu beantworten, damit es nicht zu einer Verödung kommt. Der Shop der Zukunft wird anders aussehen als heute. Denn inzwischen muss es nicht mehr jeden Artikel in allen Farben und allen Größen auf der Fläche geben. Showrooms oder Flagship-Stores sind die attraktiven Zukunftsmodelle. Dort können Farben und Größen den Bedürfnissen entsprechend direkt vor Ort bestellt, mitgenommen oder auch geliefert werden.


Dr. Hans Peter Döhmen ist Dipl.-Kfm. und geschäftsführender Gesellschafter der döhmen consulting gmbh. Zu seinen Tätigkeits- und Beratungsschwerpunkten gehören neben der Sanierungs- und Restrukturierungsberatung insbesondere das Interim-Management als CRO. Unter seiner Führung begleitet döhmen consulting Produktions- und Dienstleistungskunden sowie namhafte Retail-Unternehmen aus dem Fashion- und Food-Bereich.

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